Frankfurts neue Altstadt

Mega-Projekt Altstadt

Im Schatten des Frankfurter Doms ist ein neues Quartier entstanden, das aussieht wie ein altes: Die Frankfurter Altstadt ist wieder da - mehr als 70 Jahre, nachdem sie im Bombenhagel verbrannte.

Mit seinen rund 1200 Häusern im gotischen Stil hatte Frankfurt am Main einst die größte Fachwerk-Altstadt Deutschlands. Im März 1944 war es damit vorbei. Mehrere Angriffe alliierter Bomber zerstörten das Quartier im Herzen der Stadt Frankfurt nahezu komplett.

Rund 60 Jahre später, als mit dem Abriss des Technischen Rathauses eine große Fläche in der Altstadt frei werden sollte, stand der Wunsch nach einem (teilweisen) Wiederaufbau nach historischem Vorbild plötzlich wieder auf der politischen Tagesordnung. Eine verrückte Idee, so fanden anfangs viele. Nur wenige glaubten an das Projekt. Auch der spätere Oberbürgermeister Peter Feldmann gehörte damals zu den Skeptikern.

Doch offensichtlich hatte die Idee einen Nerv getroffen. Die Frankfurter Bevölkerung zeigte Interesse an einem Wiederaufbau, und mehr und mehr fand man auch in der Politik Gefallen an der Vorstellung, der Altstadt das Gesicht früherer Zeiten wiederzugeben. 2007 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, die zwei Jahre zuvor noch mit überwältigender Mehrheit „Nein“ zu solchen Überlegungen gesagt hatte: Frankfurts Altstadt wird wieder aufgebaut - inklusive einer Reihe von Häusern, die nach historischem Vorbild rekonstruiert werden.

Im Jahr 2012 fiel der Startschuss für die Bauarbeiten auf einem fußballfeldgroßen Areal zwischen Dom und Römer. Neben dem Stadthaus am Markt entstehen in den kommenden sechs Jahren 35 Altstadt-Häuser, darunter 15 Rekonstruktionen und 20 Neubauten. Kostenpunkt: mindestens 200 Millionen Euro.

Renate Hoyer
Zurückgekehrt: Der Stoltze-Brunnen auf dem Hühnermarkt.
Renate Hoyer
Herausragend: Die Goldene Waage am Dom.
Renate Hoyer
Verewigt: Im Haus Esslinger lebte Goethes Tante.

Der Untergang der Frankfurter Altstadt

Lange bleibt Frankfurt im Zweiten Weltkrieg von Luftangriffen verschont. 1944 aber versetzen alliierte Bomber dem historischen Zentrum der Stadt den Todesstoß.

Bereits in der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1943 trifft ein Großangriff der Royal Air Force den gesamten Osten und Nordosten Frankfurts schwer, zerstört auch Innenstadtbereiche wie das Areal rund um den Eschenheimer Turm. Die Briten sind zuständig für die Nachtangriffe, die US Army Air Force (USAAF) kommt am Tag, so etwa am 29. Januar 1944. Das Bahnhofsviertel, Sachsenhausen und das Nordend leiden am schwersten. Das Opernhaus wird unbespielbar gebombt.

Bildarchiv Foto Marburg & Kieler Luftbildarchiv, Wikimedia
Die Altstadt von Frankfurt um 1942

Ein Nachtangriff der Royal Air Force (RAF) am 18. März 1944 vernichtet fast die ganze östliche Altstadt. Den Todesstoß versetzen ihr die Briten am 22. März, dem 112. Todestag Goethes. Sein Geburtshaus verschwindet ebenso wie die restliche gotische Altstadt, einschließlich Römer und Paulskirche; der Dom: eine ausgebrannte Hülle.

Die RAF erwischt Frankfurt unvorbereitet. Zwar hat der Luftschutz um 21.14 Uhr Voralarm gegeben und „Störtätigkeit“ einzelner Flugzeuge angekündigt. Den Hauptstrom der Bomber, südlich von Kassel geortet, vermutet man jedoch auf östlichem Kurs. Dann aber schwenken die 700 RAF-Bomber nach Süden. Um 21. 44 Uhr fallen die ersten der 1200 Sprengbomben, 650.000 Stabbrandbomben und 50.000 Phosphorbomben auf die Innenstadt.

Alt-Frankfurt stirbt! (...) Die hohen Häuser am Mainkai, zwischen Fahrgasse und Kleiner Fischergasse, stürzen zusammen, verschwinden wie Kulissen. Der tosende Lärm ringsum ist so ungeheuer, dass man ihren Fall überhaupt nicht hört. Nun steht der Dom hoch und frei über dem Main, über der alten Brücke. (...) Noch niemand hat ihn so gesehen.

„Altstadtvater“ Fried Lübbecke, Kunsthistoriker und Gründer des "Bundes tätiger Altstadtfreunde", machte sich nach Kriegsende für einen teilweisen Wiederaufbau der Frankfurter Altstadt stark.

50 Minuten später existiert das historische Zentrum der Kaiserstadt nicht mehr. In den engen Gassen entfachen die Brandbomben den berüchtigten „Feuersturm“, wie zuvor schon in Köln und Hamburg. Wie in einem gigantischen Hochofen lodern die Flammen mit 1000 Grad Hitze, bewegt sich eine Feuerwalze mit 60 Metern pro Sekunde vorwärts. Altstadtbewohner, die aus verqualmten Kellern ins Freie laufen, werden in die Flammenwand gesogen und verbrennen. Beim Angriff fünf Tage zuvor hatte man bereits als 400 Todesopfer gezählt, nun sterben weitere rund 1000 Menschen. Es wären wohl noch weit noch mehr gewesen, hätten nicht viele der Jahrhunderte alten Kellergewölbe der Altstadt, die miteinander verbunden waren, als unterirdische Fluchtwege gedient.

Frankfurt hatte im März 1944 noch rund 200.000 Einwohner - 120.000 waren nun obdachlos oder lebten in beschädigten Wohnungen.

Der lange Weg zum Wiederaufbau

Was sollte man mit dem zerbombten Zentrum der Stadt machen? Der Streit um Wiederaufbau oder Neubebauung beginnt bereits kurz nach dem Krieg. Zwischenzeitlich verkommt ein Teil des Areals zum Parkplatz.

Ein Jahr nach der Zerstörung im Jahr 1944 verhängt der Magistrat für das Gebiet eine Bausperre, um einen „ungeordneten Wiederaufbau zu verhindern“. Die Meinungen schwanken zwischen dem Wunsch nach historisch getreuem Wiederaufbau, modernem Neubau und „dem vorläufigen Liegenlassen des ganzen Gebietes als grüne Wiese“, berichtet der frühere Planungsamtsleiter Hans-Reiner Müller-Raemisch in seinem Standardwerk über die „Planungsgeschichte seit 1945“.

Der Streit zwischen Traditionalisten und Modernen, von denen einige damals ein „Büro- und Regierungsviertel“ aus dem brachliegenden Boden stampfen wollen, erfasst nach einer Ausstellung der diversen Pläne 1949 in den Römerhallen die gesamte Stadt.

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1950 folgt die Ausschreibung eines Wettbewerbs. Die Stadt sieht darin „die neue Altstadt als das Herz der Innenstadt“, als „aufeinander bezogenen Organismus“ mit „Läden des kulturellen Sektors, gepflegten, stillen Gaststätten und Werkstätten des hohen Kunsthandwerks“. Man hofft auf „Vertreter der geistigen und wirtschaftlichen Führungsschichten der Stadt“ als Bewohner - „vom Verwaltungsmann bis zum Maler und Bildhauer, vom Wirtschaftsführer bis zum Universitätslehrer, vom Gewerkschaftsführer bis zum Geistlichen“.

Im Ergebnis werden unter der Regie der Frankfurter Aufbau AG (FAAG) die hintereinander gestellten Gebäudezeilen errichtet, deren „geometrische Reihung“ schon 1950 kritisiert wird. Ein wichtiges Ziel ist es, durch Innenhöfe Licht und Luft für die Altstadt-Bewohner zu schaffen. Man will an das moderne Bauen des Architekten Ernst May anknüpfen. Der Stadtraum zwischen Dom und Römer bleibt noch unbebaut.

Unter dem Titel „Romantik stirbt auch amtlich“ beklagt die Frankfurter Rundschau vom 14. April 1958 den endgültigen Verlust der Altstadt-Gassen. Denn von Amts wegen werden nun auch deren Namen gelöscht. Die Entscheidung betrifft auch die Gasse „Hinter dem Lämmchen“.

Wo das Gewirr der Gassen, Plätze und Winkel zwischen den schmalbrüstigen spitzgiebligen Häusern hindurchführte, sind helle, moderne Gebäudekomplexe, sind Fahrbahnen in neuer Linienführung entstanden.

Frankfurter Rundschau am 14.4.1958

Das Kernstück der Altstadt aber, der Domhügel und der Römerberg, bleiben trotz weiterer Wettbewerbe und Bebauungsversuche noch fast 30 Jahre brach liegen. Die historische Stadtmitte verkommt zum Parkplatz.

Laut einem Wettbewerb von 1963 sollen dann ein „Ausstellungshaus Frankfurt und die Welt“, eine zentrale Volksbücherei, die Jugendmusikschule, Restaurants, Läden, Hotel, Kleinkunstbühne, Künstlerateliers und ein Kunstkabinett zwischen Dom und Römer untergebracht werden. 50 Prozent der Fläche werden zum Bau eines „Verwaltungsgebäudes für die Technischen Ämter“ ausgeschrieben.

Ungeliebtes Technisches Rathaus

Vergeblich regt sich Protest gegen die Pläne für das Technische Rathaus. Der Komplex aus Waschbeton mit mehreren Türmen soll die ehemaligen Altstadt-Gassen Hinter dem Lämmchen und Neugasse sowie den früheren Hühnermarkt überdecken. An der Braubachstraße müssen mehrere historische Häuser aus der Zeit der Jahrhundertwende weichen, darunter eines, in dem ein noch älterer Hinterhaustrakt des „Esslinger“ erhalten ist. Vier Jahrzehnte später wird der „Esslinger“, das Wohnhaus von Johann Wolfgang Goethes Tante Johanna Melber, zu den Gebäuden gehören, die rekonstruiert werden.

Ich war jung und habe nicht darüber nachgedacht. (..) Ich empfand die Bauwerke als völlig belanglos.

Anselm Thürwächter, Architekt des Technischen Rathauses, 2007 in einem Interview mit der FAZ über den Abriss der Gründerzeitbauten.

Zwei Jahre nach seiner Fertigstellung 1974 bekommt das Technische Rathaus einen Preis für vorbildliches Bauen. Für viele Frankfurter indes wird das Verwaltungsgebäude mit der Ladenzeile im Erdgeschoss immer der „Elefantenfuß“ bleiben.

Eine gewagte Idee

30 Jahre später: Mit der Entscheidung, das Technische Rathaus abzureißen, kommt im Jahr 2004 die Debatte über eine neue Bebauung in Gang.

Ein junger Student aus Offenbach wird bei den Koalitionsfraktionen im Römer vorstellig: Dominik Mangelmann, angehender Bauingenieur und CDU-Mitglied, legt seine Pläne für eine Rekonstruktion der Altstadt vor. Außer der SPD, erzählt Mangelmann später der FR, zeigt keine der vier regierenden Parteien Interesse.

Anfang 2005 gibt es einen städtischen Ideenwettbewerb für das große frei werdende Areal. In dieser Phase tritt Wolfgang Hübner auf den Plan, damals der einzige Stadtverordnete der rechtspopulistischen Bürger für Frankfurt (BFF). Er stellt am 20. August 2005 einen Antrag und fordert genau das, was später auch geschieht: Wiederaufbau von Teilen der Altstadt, Rekonstruktion einzelner historischer Gebäude.

Das „Vierer-Bündnis“ aus CDU, SPD, Grünen und FDP lehnt ab. Noch.

Wir haben gesagt: Das ist völliger Unfug. Geschichte kann man nicht rekonstruieren. Wir leben in unserer Zeit und wir arbeiten mit unseren Gestaltungsmitteln.

Dietrich Wilhelm Dreysse, Architekt

Das komplette Interview

Michael Schick
Dietrich Wilhelm Dreysse entwarf in der neuen Altstadt die Rekonstruktionen der Häuser „Klein-Nürnberg“ und „Alter Esslinger“. Nach der Altstadt-Eröffnung erzählt er im FR-Interview, warum er 2005 als Vorsitzender des Städtebaurats gegen die Rekonstruktionen war.

Im September 2005 gewinnt das Frankfurter Architekturbüro KSP Engel & Zimmermann den entsprechenden Wettbewerb mit einem Entwurf für ein Ensemble massiver Büro- und Gewerbegebäude. Engel schlägt unter anderem eine neue städtische Zentralbibliothek in der Nähe des Doms vor. Die Architekten orientieren sich städtebaulich an den Maßstäben der historischen Frankfurter Altstadt zu Füßen des Doms, die 1944 im Bombenhagel des Krieges untergegangen war. Kleine Gassen und Plätze sollen wieder entstehen, historische Namen zurückkehren. Mehr nicht. KSP zielt auf eine moderne Architektur.

Doch CDU und Grüne machen gemeinsam mit der BFF und den Altstadt-Freunden, die in einem Verein organisiert sind, mobil gegen den Siegerentwurf. Plötzlich gibt es einen politischen Wettlauf in Richtung Rekonstruktion von Altstadt-Häusern.

Die Bürger haben ein Recht auf Fachwerk!

Franz Frey, damals Frankfurter SPD-Vorsitzender und OB-Kandidat

Die Junge Union fordert ein Bürgerbegehren, der Städtebaubeirat tagt, die Debatte weitet den Fokus auf den Sichtbeton-Anbau des Historischen Museums. Plötzlich kommt dessen Abbruch ins Gespräch. Der "Sonderausschuss Dom-Römer" konstituiert sich im Dezember 2005, um die Debatte zu lenken.

Im Herbst 2006 schließen sich die Bürgerinitiativen zusammen zu "Altstadt-Forum" und "Pro Altstadt". In der von den Stadtverordneten beschlossenen Planungswerkstatt machen Bürger Vorschläge zur Bebauung des Areals, die die planende Verwaltung dann aufnimmt. Konsens ist die Ablehnung des Wettbewerbsergebnisses.

FR-Grafik
Die Karte mit dem Planungsstand von 2009 zeigt die Umrisse des Technischen Rathauses (oben) und die an seiner Stelle geplante Neubebauung.

Nur einzelne Architekten und der Bund Deutscher Architekten (BDA) kämpfen noch für moderne Gebäude. Nach der Kommunalwahl 2006 gibt Architekt Engel entnervt auf. CDU und Grüne bilden im Römer eine Koalition. Im November 2006 beschließen sie „Eckpunkte“ für den Wiederaufbau der Altstadt: Mindestens sechs Rekonstruktionen.

Im Juni 2007 präsentiert Planungsdezernent Edwin Schwarz seine Vorlage zur Bebauung des Geländes Technisches Rathaus. Sieben bis acht typische Giebelhäuser sollen wieder erstehen. Der Kostenrahmen zu diesem Zeitpunkt: 106 Millionen Euro.

Startschuss für den Wiederaufbau

Experten beginnen im November 2007 mit der Suche nach Resten der im Bombenkrieg des Jahres 1944 verbrannten und später abgetragenen historischen Häuser in der Nähe des Doms. Bürger werden aufgefordert, Erinnerungsstücke (Spolien) in ihrem Besitz zur Verfügung zu stellen.

Als Projektgesellschaft zum Bau eines Altstadt-Ensembles wird im Juli 2009 die Dom-Römer-Gesellschaft als hundertprozentige Tochter der Stadt gegründet. Es soll ein Viertel aus rekonstruierten oder im traditionellen Maß und Stil gebauten Wohnhäusern entstehen.

Ein Wettbewerb zur Überbauung des Archäologischen Gartens mit einem "Stadthaus am Markt" wird im Dezember 2009 entschieden.

Michael Schick
2010 beginnt der Abriss des Technischen Rathauses.

Im Römer verabschiedet man eine Gestaltungssatzung, die etwa festlegt, dass nur Schieferdächer gebaut werden dürfen. Einem neuen Gestaltungsbeirat sitzt der Architekt Christoph Mäckler vor.

Im November 2009 verlassen die „technischen Ämter“ das Technische Rathaus. 650 städtische Mitarbeiter ziehen um in das Mainova-Gebäude am Börneplatz. Zwischen 2010 und 2012 wird der „Klotz“, wie viele ihn nur nennen, abgerissen.

Mit der Grundsteinlegung am 23. Januar 2012 beginnen die Hochbauarbeiten auf dem Areal.

Im August 2012 wird der Schirn-Tisch abgerissen. Die Plattform auf vier Beinen, die zwischen Schirn und Technischem Rathaus stand, muss dem geplanten Krönungsweg weichen.

Krönungsweg und Archäologischer Garten

Seit in Frankfurt nicht nur die Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewählt, sondern ab dem Jahr 1562 auch die deutschen Kaiser gekrönt wurden, zogen die Kaiser auf diesem Weg entlang des Alten Marktes zunächst zu ihrer Krönung in den Bartholomäus-Dom und dann zu dem feierlichen Bankett zurück in den Römer.

Der Archäologische Garten bekommt im Herbst 2012 eine Decke aus Geotextil und wird mit einer Art Kies zugeschüttet. Unter der Schutzschicht sollen die Mauerreste aus den Zeiten der karolingischen Königspfalz im 8. Jahrhundert, die Reste eines römischen Bades und eines spätmittelalterlichen Kellers, die Gründungsarbeiten für das Stadthhaus unbeschadet überstehen, das über dem Archäologischen Garten errichtet wird. Im Oktober 2014 ist Richtfest für dieses Gebäude, den wohl umstrittensten Teil des Altstadt-Projekts.

Christoph Boeckheler
Die Baustelle des Stadthauses im Juni 2014.
dpa
Das fertige Stadthaus (links) im Dezember 2016. Rechts stehen derweil die Rohbauten.

Herausforderung für Steinmetze, Schmiede und Schreiner

Nicht nur auf dem Dom-Römer-Areal herrscht emsiges Treiben, auch bei auswärtigen Handwerksbetriebe laufen die Vorbereitungen für den Bau der 35 Altstadt-Häuser. In einem Familienunternehmen in Bamberg arbeiten Steinmetze im Sommer 2014 an Figuren, Brunnen und Säulen für die „Goldene Waage“, das Haus „Klein Nürnberg“ und das „Goldene Lämmchen“. In Lemgo arbeitet eine Schreinerei an Verzierungen für die „Goldene Waage“.

DomRömer GmbH
Steinmetzarbeiten für die Wendeltreppe der Goldenen Waage.
DomRömer GmbH
Historische Handwerkskunst ist gefragt, um die Fachwerk-Schnitzereien nach alten Vorlagen nachzubilden.
DomRömer GmbH
Zimmerarbeiten für die Goldene Waage.

Akkurate Handwerkskunst ist auch gefragt bei der Herstellung der 70 Stufen aus Mainsandstein für die Treppe, die die beiden Gebäudeteile der „Goldenen Waage“ miteinander verbinden wird. Im Mai 2015 beginnt ihr Einbau in den Treppenturm.

Im November 2015 bekommt das Haus Klein Nürnberg – als einziges der neuen Altstadt-Häuser – seine von Säulen getragene Gewölbedecke aus Mainsandstein.

DomRömer GmbH
Arbeiten an den Gewölberippen am Haus Klein Nürnberg.
Renate Hoyer
Die fertige Gewölbedecke im Haus Klein Nürnberg.
Renate Hoyer
Treppe im Haus Klein Nürnberg.
Andreas Arnold
Fensterfront im Haus Alter Esslinger.
Christoph Boeckheler
Fassade an der Braubachstraße/Ecke Dom.

Unerwartete Entdeckungen

Ein Jahr lang hatte ein Team um den Frankfurter Architekten D.W. Dreysse im Auftrag der Stadt nach Überresten der untergegangenen Altstadt gesucht und 250 solcher Spolien ausfindig gemacht.

Vom Haus Goldene Waage fand man Pfeiler, Fensterbögen, Fassadenteile. Etwa ein Viertel des Erdgeschosses ließe sich aus den Funden rekonstruieren. In ein anderes Ensemble vermauert, entdeckten die Rechercheure sogar einen Stein mit der Aufschrift „Zum grünen Schild“, eines Hauses aus dem untergegangenen jüdischen Ghetto.

60 Spolien werden nun in der neuen Altstadt verbaut. Das größte Originalstück ist ein fünf Meter breites barockes Portal, das im Garten des Liebighauses ab- und am Gebäude „Altes Kaufhaus“ (Markt 30) wieder aufgebaut wird.

Renate Hoyer
Das barocke Portal bildet den Eingangsbereich des Neubaus am Markt 30.

Friedrich Stoltze kommt nach Hause

Im April 2016 muss Friedrich Stoltze Abschied nehmen vom Stoltzeplatz hinter der Katharinenkirche. Der Brunnen mit der Büste des Frankfurter Journalisten und Dichters, der 1816 im nun rekonstruierten Gasthaus „Zum Rebstock“ geboren wurde, stand nach seinem Tod seit 1892 auf dem Hühnermarkt in der Altstadt. Nach den Zerstörungen durch die Bombenangriffe 1944 wurde er von dort entfernt und im Jahre 1981 auf dem Stoltze-Platz aufgebaut.

DomRömer GmbH
Friedrich Stoltze, zurück am Hühnermarkt.

Nun soll das Denkmal auf den Hühnermarkt zurückkehren – ein Schritt, über den die städtischen Denkmalschützer zunächst überhaupt nicht glücklich sind. Am Ende lassen sich sich aber trotz ihrer Bedenken breitschlagen – mit Blick auf die politische Bedeutung des Altstadt-Projekts.

Im Juni 2016 wird das Stadthaus am Markt eröffnet. Vier Monate später können Frankfurterinnen und Frankfurter beim Altstadt-Richtfest erstmals einen Blick auf das neue Quartier werfen.

Mit der Demontage des zentralen Krans 1 auf dem Hühnermarkt verschwindet im Juni 2017 ein weithin sichtbares Zeichen des Wiederaufbaus, der die Baustelle jahrelang geprägt hat.

Im September 2017 kehrt der Stoltze-Brunnen auf den kleinen Platz zurück.

OB Peter Feldmann öffnet den Krönungsweg mitten im Wahlkampf - und zieht sich Kritik zu

Die vorgezogene eintägige Öffnung des Krönungsweges am 9. Februar 2018 - zwei Wochen vor der OB-Wahl – bringt dem amtierenden Oberbürgermeister Peter Feldmann Vorwürfe ein: Kritiker monieren, der Kandidat wolle sich an dem Tag inszenieren und Wahlkampf machen. Feldmann verteidigt sich mit dem Argument, der Termin sei für den Abschluss des ersten Bauabschnitts vereinbart und dieser eigentlich für November oder Dezember geplant gewesen, habe sich nun aber um einige Wochen verschoben.

Christoph Boeckheler
Mai 2018: OB Peter Feldmann und seine Vorgängerin Petra Roth eröffnen die Frankfurter Altstadt.

Im Mai 2018 fallen die Bauzäune. Staunend nehmen die Frankfurter das neue Quartier in Besitz.

Der damalige SPD-Sozialpolitiker Peter Feldmann gehörte 2008 zu den Gegnern der Altstadt, die ihm zu teuer und überflüssig erscheint. Als Oberbürgermeister sagt er später, das neue Quartier gebe den Menschen „ein Stück Seele“ zurück.

Die neue Altstadt

Neugierig erkunden die Frankfurter ihr neues Viertel, Touristen strömen in Scharen in die Altstadt, bestaunen die reich geschmückte Goldene Waage am Dom, den Nachbau von Stoltzes Geburtshaus und die anderen „alten“ Häuser. Es gibt viel Lob, aber auch Kritik - etwa an den Kosten für die teuren Eigentumswohnungen.

Sommer 2018: Noch wirkt die Altstadt eher wie eine Filmkulisse. In den Geschäftsräumen und vor den Häusern schuften Bauarbeiter, an einigen Stellen ist zu erkennen, was in der Ladenzeile im Erdgeschoss einziehen soll. „Öffnung im September“ steht in einigen Schaufenstern geschrieben. Einige haben bereits geöffnet, die Töpferei Bauer sucht nach Mitarbeitern, und vor dem Laden am Hühnermarkt, in dem Stofftiere verkauft werden, steht eine große Giraffe. Kinder spielen mit ihr und versuchen, zum Kopf hochzuspringen.

Tagsüber ist viel los in diesen Sommertagen: Einheimische und Touristen pilgern in das neue Viertel, legen die Köpfe in den Nacken, um die „alten neuen“ Fassaden zu bestaunen, schauen sich neugierig in den Innenhöfen um. Führungen durch die neue Altstadt sind schnell ausgebucht.

Die kleinen Durchgänge und die Hinterhöfe haben es vielen Menschen angetan. Der Innenhof im Haus „Klein Nürnberg“ in der Straße Hinter dem Lämmchen ist stets gut besucht. Die Steinmetze und Schmiede, auch die Zimmerleute bekommen viel Lob. Ruhiger geht es in einem kleinen Hof mit einem rechteckigen steinernen Brunnen zu, der ein wenig versteckt an der Westseite des „Hauses am Rebstock“ entstanden ist.

360-Grad-Einblicke: Schauen Sie sich in der Altstadt um

Stoltzes Elternhaus: Der Rebstock-Hof

Der frühere Gasthof, ein barocker Bau mit den großen hölzernen Balustraden, ist untrennbar mit Friedrich Stoltze verbunden. Es ist das Elternhaus des Frankfurter Mundartdichters und Journalisten, der hier im Jahr 1816 geboren wurde. Schon als Bub konnte er im Hinterzimmer des Gasthauses zuhören, wie Freiheitskämpfer die Einheit Deutschlands und eine demokratische Regierung forderten.

Die Rekonstruktion des Gebäudes in der Braubachstraße Nummer 15 orientiert sich an einem Bau aus dem 18. Jahrhundert. Besonders auffallend sind die beiden Holzgalerien im ersten und zweiten Stock. Mit ein wenig Fantasie kann man sich gut vorstellen, wie im Mittelalter morgens Händler über die Galerie zum Schankraum gingen, um zu frühstücken.

Carl Friedrich Fay [Public domain], via Wikimedia Commons
Der Innenhof des Gasthauses Zum Rebstock um das Jahr 1898.
Renate Hoyer
Der rekonstruierte Rebstock-Hof 2018.

Direkt an den Rebstock-Hof schließt sich das Gebäude Braubachstraße 21 an. Beide Häuser wirken wie ein zusammenhängendes Gebäude. Anhand einiger baulicher Besonderheiten kann man sie voneinander unterscheiden. Die Nummer 21 hat eine Fachwerkfassade. Außerdem wirkt es so, als ob sich das obere Stockwerk über das jeweils untere schiebt. Diese Vorsprünge werden auch Auskragungen genannt. Der Kern des früheren Wohn- und Wirtschaftsgebäudes stammt aus dem 16. Jahrhundert.

Nicht nur der Rebstock-Hof, auch viele andere Ecken der Frankfurter Altstadt verbinden sich mit Friedrich Stoltze. Über das Quartier mit den winkeligen Gassen, in denen er seine Kindheit und Jugend verbrachte, schrieb er selbst diverse Male. Rund zehn Jahre nach seinem Tod - Stoltze starb 1891 - wurden mehr als 100 Altstadt-Häuser abgerissen, um Platz für den Durchbruch der Braubachstraße zu schaffen. Darunter war auch sein Geburtshaus.

Mehr Luft und Licht und freieren Verkehr in der Altstadt herzustellen, wer wollte dagegen sein? Gewiß Keiner, der es mit Frankfurt wohl meint. Aber zum guten Anfang sich gerade diejenigen alten Häuser zum Niederreißen auszuwählen, deren Erhaltung einem Jeden, der nur einigermaßen ein Verständniß für den Werth alter stilvoller und für die Geschichte der Stadt charakteristischen Gebäude hat, am Herzen liegen muß, ist denn doch geradezu eine Eulenspiegelei.

Friedrich Stoltze 1889

Prunkstück: Die Goldene Waage

Eines der meistfotografierten Häuser ist die Rekonstruktion der Goldenen Waage. Das Belvederchen auf dem Dach des Altstadthauses ist noch nicht ganz fertig, aber schon jetzt wünscht man sich, die Sommerabende hier zu verbringen. Der kleine, begrünte Dachgarten sollte schon im 17. Jahrhundert, als das Haus gebaut wurde, den Bewohnern ein wenig Kühlung und Ruhe von den wuseligen Gassen verschaffen. Ein paar Stufen weiter oben lädt eine überdachte Laube zum Ausruhen ein.

Im Gegensatz zu anderen Gebäuden aus dieser Zeit ist das Haus gut dokumentiert. Es gibt alte Pläne, Zeichnungen und Fotografien, die das Rekonstruieren leichter machten. Zudem fanden sich auch hier Teile aus dem Trümmerschutt, die an anderen Stellen verbaut worden waren, einige der Spolien etwa. Die wertvollen Konsolen und Porträts wurden ausgebaut, andere anhand des Originals aufgearbeitet.

Renate Hoyer
Die Goldene Waage ist eines der Prunkstücke in der neuen Altstadt.

Der Reichtum seiner Bewohner zeigte sich auch durch die üppig verzierte Fassade. In den Sockel aus rotem Mainsandstein seien Formen geschlagen worden, die an Diamanten erinnerten, sagt Architekt Jochem Jourdan, der neben anderen Rekonstruktionen auch die Goldene Waage betreut, im Gespräch mit der FR. Über den großen Fenstern im Erdgeschoss sind geschmiedete Gitter mit vergoldeten Verzierungen angebracht. Drei von ihnen sind 400 Jahre alt, die anderen wurden rekonstruiert. Erstere überdauerten im Historischen Museum mit anderen Überbleibseln den Krieg. Die Porträts der Besitzer sind ebenfalls in Stein gemeißelt an der Hauswand zu finden. Der Hausherr trägt einen französischen Schnauzer, seine Frau wurde mit einer Frisur, die zeigte, dass sie verheiratet ist, dargestellt. Wer genau hinsieht, findet auch die Initialen der beiden, die in einem Allianzwappen prangen. „Das zeigt gleichzeitig, dass beide gleichberechtigte Besitzer waren“, sagt Jourdan.

Auffälliger für den Betrachter ist die Hand, die sich aus dem Haus herauszustrecken scheint und die Goldene Waage hält. Ebenso wie die wasserspeienden goldenen Drachen am Ende der Regenrinne.

Renate Hoyer
Goldene Waage mit Ornamenten an den Eckbalken.
Renate Hoyer
Die Wasserabflüsse in Form von Drachen sind nicht chinesisch, wie der Architekt klarstellt.
Renate Hoyer
Eine Hand hält die Waage.

Die kunstvoll geschnitzten Ornamente an den Eckbalken leuchten türkis, blau rot und golden. Restauratoren fanden diverse Farbspuren an alten Teilen, so dass man davon ausgehen könne, dass sie bunt bemalt gewesen seien, erklärt Jourdan. Nach oben hin schließt das Haus mit einem sogenannten rheinischen Wellengiebel ab. Die Balken sind hier nicht gerade, sondern geschwungen.

Im Inneren der Goldenen Waage werkeln noch Handwerker, der Boden und das Treppenhaus sind abgedeckt. „Die unteren zwei Geschosse haben eine Deckenhöhe von rund fünf Metern“, so Jourdan. Im Erdgeschoss war einst die Kaufhalle, sie hatte keine Fenster, lediglich Klappläden, die geschlossen werden konnten. Außerdem war eine Empore eingebaut, die soll noch folgen. Schon jetzt sieht man die kunstvolle Stuckdecke, vier Embleme zeigen die Jahreszeiten. Hier wird Gastronomin Birgit Zarges ein Café eröffnen.

Jourdan begann 2013 mit der Planung der Goldenen Waage. Die Fertigstellung habe sich verzögert, was vor allem an der komplexen Haustechnik liege, sagt Jourdan. Im 17. Jahrhundert war das Haus quasi Lowtech. Es gab kein fließendes Wasser, nur einen Brunnen im Keller, keine Toilette, stattdessen wurden die Fäkalien jeden Morgen in Eimern abgeholt. Statt an einer Heizung wärmte man sich am Kamin und Kachelofen, lediglich Kerzen spendeten Licht. Beim Nachbau mussten aber die heutigen technischen Anforderungen bedacht und umgesetzt werden. Im Herbst soll nun alles fertig sein.

Die Häuser: Rekonstruktionen (grün) und Neubauten (blau)

Zwei „Rote Häuser“ - doch nur eines ist rot

Für regelmäßige Verwirrung sorgen die beiden Nachbarhäuser an der Südseite der Straße Am Markt: Das „Rote Haus“ und das „Neue Rote Haus“. Nur eines der beiden hat tatsächlich eine rote Fassade – es ist das Eckhaus, das später an das „Rote Haus“ angebaut wurde und deshalb „Neues Rotes Haus“ heißt.

Welche Farben das ältere „Rote Haus“ einmal hatte, das heute mit heller Fassade erstrahlt, ist in den überlieferten Quellen nicht nachvollziehbar. Über die Jahrhunderte wurde das Gebäude, ursprünglich im 14. Jahrhundert errichtet, oft umgebaut. Möglicherweise war es einst ebenfalls rot und wurde dann umgestrichen.

Carl Andreas Abt [Public domain], via Wikimedia Commons
Das Neue Rote Haus um 1910. Unter den hervorstehenden Dächern wurden Frankfurter Würstchen verkauft. Das Haus mit weißer Fassade links daneben ist das (Alte) Rote Haus, das früher entstand.
Renate Hoyer
Rotes Haus (mit weißer Fassade) und Neues Rotes Haus als Rekonstruktionen. Im Roten Haus links zieht wieder ein Metzger ein - so schließt sich hier ein Kreis.

Einige Jahrzehnte später wurde das Neue Rote Haus daran angebaut. Da dieses kein Erdgeschoss besaß, musste der Zugang über das benachbarte Gebäude gelegt werden. Über eine Treppe gelangt man vom „Roten Haus“ in das erste Obergeschoss des „Neuen Roten Hauses“.

1877 zog eine Metzgerei ins Erdgeschoss des Eckhauses am Markt 15 ein. Zur Straße hin hat das Haus auch heute wieder eine Überdachung, wie es sie in der Frankfurter Altstadt häufiger gab. Geschützt vor Regen und Wind boten die Metzger Fleisch und Wurst an solchen Verkaufsständen im Freien an – man nannte sie auch Schrannen oder Schirnen, sie gaben der nahen Kunsthalle ihren Namen.

„Franconofurd“: Wo für Frankfurt alles begann

Am Rande der neuen Altstadt sind die Spuren aus den Anfängen der Stadt wieder sichtbar geworden, ihre Präsentation wurde deutlich aufgewertet. Jahrzehntelang waren die Baureste aus römischer Zeit, von Königshöfen der Merowinger und der Karolinger und die Hausfundamente aus dem Spätmittelalter im Archäologischen Garten der Witterung ausgesetzt.

Nun sind sie durch das Stadthaus überbaut, dessen Veranstaltungssaal – in der Form erinnert er an die Königshalle - über der Ausgrabungsstätte zu schweben scheint.

Christoph Boeckheler
Nachbau eines römischen Heizungssystems.
Christoph Boeckheler
Der Veranstaltungsraum des Stadthauses hängt über der Ausgrabungsstätte.

Neu ist ein römisches Bad mit zeitgenössischer Fußbodenheizung und Vitrinen mit Informationen und Exponaten aus römischer und karolingischer Zeit. „Franconofurd“, wie die museale Präsentation nun heißt, ist tagsüber von 8:30 bis 19:30 Uhr zugänglich. Führungen sind mittwochs, 18 Uhr, und samstags, 15 und 16.30 Uhr, ebenfalls kostenfrei.

Die Kosten

Rund 200 Millionen Euro hat sich die Stadt das Prestige-Projekt Altstadt kosten lassen. Einst war angedacht, die Kosten durch den Verkauf von Eigentumswohnungen in den oberen Etagen der 35 Häuser zu erwirtschaften. Das allerdings scheiterte: Nur 70 Millionen Euro hat die Stadt eingenommen, trotz der stolzen Preise von bis zu 7500 Euro pro Quadratmeter.

DomRömer GmbH
Blick in eine der Altstadt-Wohnungen während des Innenausbaus Ende 2017.

Auch das führte wieder zu Kritik: Der Steuerzahler zahlt 130 Millionen Euro für den Wiederaufbau vergangener Zeiten.

Der Stadthistoriker Dieter Wesp formuliert es so: „Die Steuerzahler haben mit einem Betrag von 130 Millionen Euro die Luxuswohnungen mitfinanziert.“ Bei seiner Tour „Die neue Altstadt – Dichtung und Wahrheit“ führt er Besuchergruppen durch das Areal am Römer. Sein Projekt: die Entzauberung der Altstadt. Das Areal wolle jede Spur des historischen Einschnitts vergessen machen. Mit der Altstadt werde „das Bedürfnis nach einer heilen Welt befriedigt“, glaubt Wesp. Erinnerungspolitisch sei das problematisch: „Es geht nicht ausschließlich um ästhetische Gesichtspunkte. Auch das, was wir nicht als schön empfinden, muss als geschichtliches Zeugnis bewahrt werden.“

Die Reaktionen

Hört man sich unter den Passantinnen und Passanten um, wird schnell klar: Das Urteil über das Quartier schwankt.

„Das haben sie wunderbar hingekriegt“, sagt die gebürtige Frankfurterin Rita Großmann, Jahrgang 1945. Anastasia Kühn hat dagegen „schon immer gesagt, dass das Legoland ist“. Jetzt fühlt sich die Sekretärin bestätigt. „Das ist eine Altstadt für Touristen und Investoren.“ Aus Sicht der 57-Jährigen „wirkt das alles total steril“. Am meisten aber regt sie sich über die Preise im Umfeld auf. „Im Café Einstein kostet ein Stück Kuchen 4,50 Euro – welcher normale Frankfurter kann sich denn das leisten?“

Ingrid Füll blickt kritisch auf die Gebäude in der Häuserzeile Hinter dem Lämmchen. „Es sind so klotzige Bauten“, urteilt sie: „Es ist zu gewollt und nicht gelungen.“ Die Eigentumswohnungen habe sich nur jemand kaufen können, „der viel Geld hat“. Und die Läden seien vor allem „für die Touristen gedacht“. Ihr Sohn mutmaßt: „Es wird relativ laut sein.“ Nein, hier wohnen würde er nicht: „Es wäre mir zu laut.“

Die neue Altstadt heute ist wie eine Art mentale Heilung für die Bürger der Stadt, die sich an ihr erfreuen und stolz darauf sind.

Innenarchitektin Cornelia Bensinger

Das komplette Interview

Monika Müller
Cornelia Bensinger ist Vorsitzende des Vereins Pro Altstadt.

Volker Hartmann, der Vorsitzende der Oberräder Initiative „Bürger für Wohnen ohne Fluglärm und Absturzbedrohung“, hat noch erlebt, „wie die ganze Fläche hier ein Autoparkplatz war“. Im Vergleich dazu schneide die Altstadt natürlich besser ab: „Ich mag ja so was Altes, aber man sieht schon, dass es neu ist.“ Hartmann sagt voraus: „Es wird ein Touristenevent werden“ und fügt gleich hinzu: „Ich wäre genervt von den vielen Touristen.“

Die ehemalige Frankfurterin Steffi Porter ist aus New York zu Besuch in ihrer alten Heimat. Die 44-Jährige meint: „Die Altstadt sieht sehr schön aus. Es ist schade, wenn immer nur neue und moderne Gebäude gebaut werden. Ich wünsche mir, dass Frankfurt durch die Altstadt noch internationaler und bekannter bei Touristen wird. Die Altstadt ist ein Grund, jetzt mal zu sagen: ,Leute, geht nach Frankfurt. Da ist was tolles entstanden, schaut es euch an!'“

„Auch wenn die Altstadt noch ein bisschen wie eine Filmkulisse aussieht, so wirkt es doch authentisch“, sagt der 41-jährige Jens Jacob, der zu ersten Mal in Frankfurt ist. „Ich finde die Gebäude, die ich bisher gesehen habe, sehr schön. Wenn man bedenkt, dass hier nach dem Zweiten Weltkrieg alles platt war, ist es schon erstaunlich, dass man das wieder so aufbauen konnte.“

Die neue Altstadt in Frankfurt ist eine große Geschichtsfälschung. Es wird ein Bild der Stadt erzeugt, das so niemals bestanden hat.

Ulrich Scheffler, Architekt

Das komplette Interview

Christoph Boeckheler
Der Architekt Ulrich Scheffler sieht den Nachbau der Frankfurter Altstadt im FR-Interview kritisch.

„Die Altstadt tut Frankfurt gut, es macht die Stadt auf jeden Fall interessanter“, urteilt Daniela Schwarz. „Als Gastronomin auf der Fressgass kann ich sagen, dass der Stadt mehr Touristen nicht schaden würden. Der Ruf ist außerhalb nach wie vor schlecht. Als ich vor einigen Jahren hierher zog, hab ich Beileidsbekundungen bekommen, dabei ist Frankfurt toll. Ich finde die Altstadt sehr gelungen, es ist schön gemacht. Es ist endlich mal etwas, worüber erzählt wird.“

Positiv ist auch der Eindruck, den der 30-jährige André Wagner aus der Wetterau hat: „Ich finde, die Altstadt ist schön geworden. Es muss nicht immer alles modern sein, es geht hier auch um Tradition und Geschichte, die man bewahren sollte. Es ist viel Geld dafür ausgegeben worden, und viel zahlt der Steuerzahler, aber es wird für viel sinnlosere Dinge Geld ausgegeben.“

Die Altstadt-Feier

Im September 2018 erlebt Frankfurt die große offizielle Eröffnungsfeier für die neue Altstadt. 1,5 Millionen Euro lässt sich die Stadt das Fest kosten. Ein Signal weit über Frankfurt hinaus wolle man mit den Feierlichkeiten senden, sagte der Geschäftsführer der städtischen Tourismus und Congress, Thomas Feda, bei der Vorstellung.

Es wird Leben in der neuen Altstadt sein - Menschen werden sie bewohnen, Geschäftsleute ihre Waren feilbieten. Abends, wenn die Touristinnen und Touristen weg und die Läden zu sind, kehrt dennoch eine mitunter gespenstische Ruhe ein in den Gassen zwischen Dom und Römer, und der nächtlichen Spaziergängerin erscheinen die Fassaden wie die Kulissen eines tagsüber trubeligen Freizeitparks nach Feierabend. Es wird seine Zeit brauchen, bis das neue Viertel wie selbstverständlich zu Frankfurt gehört.

Der Weg zur neuen Altstadt war weit - und er ist noch nicht zuende.